Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – und manchmal führt es mitten ins Gebet. In den Bildandachten verbinden sich starke Bilder mit kurzen geistlichen Impulsen zur Inspiration und zum Innehalten.
Die Bildandachten hat Pastor Dr. Michael Bartels verfasst.
Der Maler Tizian (Tiziano Vecello) war einer der berühmtesten Maler der italienischen Hochrenaissance. Er lebte von 1488-1576 überwiegend in Venedig und war zugleich als Kunstmaler ein internationaler „Star“, dessen Werke von den Mächtigen der Welt geschätzt und gekauft wurden. Tizians bildliche Darstellung der Pfingstgeschichte ist ein monumentales Gemälde (570 x 260) und befindet sich in der Kirche Santa Maria della Salute in Venedig. Millionen von Touristen sind jährlich um diese Kirche herum unterwegs, die zu den markanten Sehenswürdigkeiten der Stadt zählt und ein architektonisches Bindeglied zwischen der Lagune Venedigs und dem Canale Grande darstellt.
Tizian gestaltet die Pfingstgeschichte weitestgehend so, wie sie aus Apostelgeschichte 1+2 überliefert ist. Die Jünger sind in Jerusalem. Sie haben die Himmelfahrt Christi erlebt und sich anschließend in das Obergeschoss eines Hauses zurückgezogen. Dort „hielten alle einmütig fest am Gebet samt den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern.“ (Apg. 1, V. 14) Zehn Tage später, am Pfingsttag, „geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab.“ (Apg. 2, V. 2-4)
Tizian malt die kleinen Flammen über den Köpfen der Beteiligten, dazwischen immer wieder Hände, die nach oben gehen. Es ist ein Moment großer Ergriffenheit bei allen Beteiligten. Die kleinen Flammen symbolisieren die „Zungen, zerteilt und wie von Feuer“, also die unterschiedlichen Sprachen, in denen die Versammelten plötzlich reden. Aber es entsteht keine babylonische Sprachverwirrung. Im Gegenteil: Alle Sprachen verstehen die Botschaft. Der Geist Gottes übersetzt sich in die Sprache aller Menschen. Er trennt nicht. Er verbindet. Er schafft eine gemeinsame Verstehensebene.
Der Geist wird von oben „ausgegossen“, jedoch nicht wie ein Wasser, sondern er fällt herab wie Strahlen einer Sonne, die durch das Oberlicht hindurch scheint. In der Mitte der Lichtquelle ist eine Taube zu erkennen. Von ihr ist in der Pfingstgeschichte nicht die Rede, sie wird von Tizian als ein entscheidendes Element hinzugefügt, um die Geschichte besser verständlich zu machen. Denn die Taube ist in anderen biblischen Texten als wichtiges Symbol überliefert, u. a. in der Erzählung von der Taufe Jesu. Darin heißt es, dass „der Heilige Geist hernieder fuhr auf ihn in leiblicher Gestalt wie eine Taube, und eine Stimme kam aus dem Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“ (Lukas 3, V. 22).
Es ist also alles sehr mystisch und symbolisch aufgeladen – sowohl in der biblischen Überlieferung als auch in der Darstellung des Geschehens bei Tizian im 16. Jahrhundert. Wie sollen wir uns darauf heute einen Reim machen? Seit etlichen Jahren wird zunehmend davon gesprochen, Pfingsten sei der „Geburtstag der Kirche“. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass der Geist Gottes nach Jesu Leben, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt bei den Menschen angekommen ist und ihr Zusammenleben von nun an prägen wird. Aber die „Ausgießung des Geistes“ ist eine Glaubensgeschichte, die sich nicht datieren lässt und die sich nicht auf das beschränken lässt, was heute im allgemeinen als Kirche verstanden wird.
Wir können es – ganz so wie der Maler uns Gelegenheit dazu gibt – eher mit einer anderen Deutung versuchen, die die überlieferte Symbolik aufnimmt und in unseren Sprachgebrauch überträgt. Die Menschen, bei denen der Geist Gottes ankommt, werden sprachfähig und brennen für das, was sie wahrnehmen. Und die Taube ist in unserer modernen Zeit zugleich zum Zeichen des Friedens geworden. Gottes Geist und der Geist des Friedens sind untrennbar miteinander verbunden. In diesem Sinne bedeutet Pfingsten im Jahr 2025: Für den Frieden innerlich brennen und die Sprache des Friedens in allen Sprachen der Menschen zu sprechen.
Der Friede Gottes sei mit uns allen.
Ihnen allen ein gesegnetes Pfingstfest
Nach kirchlichem Verständnis beginnt die Osterzeit mit dem Ostersonntag und der dazu gehörigen Überlieferung von der Auferstehung Jesu Christi. Sie endet 50 Tage später mit dem Pfingstfest. Eine der markantesten biblischen Geschichten, die sich mit Ostern und dem Auferstandenen verbinden, wird im Lukasevangelium (Kap. 24, 13-35) erzählt: Zwei Jünger sind auf einem Fußweg von Jerusalem zu dem Dorf Emmaus. Sie sprechen aufgeregt über die Ereignisse der zurückliegenden Tage. Jesus ist verurteilt, gekreuzigt, gestorben und ins Grab gelegt worden.
Und nun soll sein Grab leer sein, wie es von einigen Frauen berichtet wird! Da treffen sie auf ihrem Weg einen Mann. Es ist Jesus, aber sie erkennen ihn nicht. Sie diskutieren mit ihm auf dem Weg. Sie versuchen das Erlebte zu verstehen. Darüber vergeht der Tag. „Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen.“ (V. 28-31)
Am Reden haben sie Jesus nicht erkannt. Erst als er ihnen beim abendlichen Mahl das Brot bricht, erkennen sie ihn an seiner Handlung. Im selben Moment – so der Bericht der Bibel – entschwindet er vor ihren Augen.
Ein Haus in Züssow trägt seit mehr als 70 Jahren den Namen „Emmaus“. Als es Anfang der 1950er Jahre eingeweiht wurde, war es ein „Feierabendheim“ für ältere und pflegebedürftige Menschen. Die Bitte „Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt“ wurde von der Tageszeit auf die Lebenszeit übertragen. Damit verband sich die Vorstellung, dass Jesus nicht nur punktuell, sondern ein Leben lang mit den Menschen auf einem Weg unterwegs ist. Und die Hoffnung, ihn beim Einkehren am Ende der Lebensstrecke als den zu erkennen, der diesem Gang durch das Leben seinen Sinn gab.
Der italienische Maler Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610) hat auf seinem Bild, das um 1600 entstanden ist, die entscheidende Szene der biblischen Geschichte wie einen „Schnappschuss“ dargestellt. Die beiden etwas älteren Jünger sitzen mit einem jugendlich aussehenden Jesus an einem Tisch, der reich gedeckt ist. Das Brot ist bereits geteilt. Eine Schale voll von Früchten steht an der äußersten Kante des Tisches. Sie könnte im nächsten Augenblick herabfallen. Die beiden Jüngern bemerken ganz genau in diesem Moment, mit wem sie es zu tun haben. Wie konnte es überhaupt geschehen, dass ihnen das vorher noch nicht klargeworden war? Caravaggio wendet einen „Kunstgriff“ an, um nachvollziehbar zu machen, warum den Jünger „die Augen gehalten wurden, so dass sie ihn nicht erkannten“ (V. 16): Jesus trägt keinen Bart. Er ist äußerlich verändert.
Das Wesentliche in der Darstellung Caravaggios geschieht aber mit den Händen und mit den Augen. Der rechte der Jünger (es soll Jakobus sein, wie an der angehefteten Jakobsmuschel zu erkennen ist) breitet seine Arme so weit aus, wie es nur geht. Seine rechte Hand, die überproportional groß gestaltet ist, ist auf die Person Jesu gerichtet. Seine linke Hand greift quasi in den Raum uns entgegen und will uns mit einbeziehen. Der linke Jünger, Kleopas nach dem biblischen Bericht, hat beide Hände auf die Stuhllehnen gestützt. Er braucht Halt in dieser Situation der vollständigen Überraschung. Er ist – nach dem Vorbild der Menschen aus Caravaggios Zeit – ärmlich gekleidet. Seine Jacke ist am Ellenbogen aufgerissen, vielleicht gerade durch die Dramatik dieses Moments.
Die Blickrichtung der Augen der Jünger ist ganz auf die Hand Jesu gerichtet. Diese Hand symbolisiert das entscheidende Geschehen, das Umschlagen aus der Blindheit des Nichterkennens in das sichtbare Verstehen. Die drei ausgestreckten Finger der Hand Jesu deuten die entscheidende Segenswende an. Es ist ein Moment des Erschreckens, des Gebanntseins und zugleich der Faszination und höchsten Erkenntnis. In dieser Szene vollzieht sich auf engstem Raum das Geheimnis des Glaubens: die Gewissheit, dass Jesus auferstanden ist, mit den Jüngern auf dem Weg des Lebens unterwegs ist und sie segnet.
Und dann ist da noch eine weitere Gestalt, die Caravaggio zusätzlich erfunden hat. Der Wirt des Hauses steht neben der Szene. Er blickt nicht auf die segnende Hand Jesu, sondern sieht skeptisch, vielleicht sogar misstrauisch auf die Gestalt, die einen derartigen Bann auf die beiden Gefährten ausübt. Mit dieser personellen Ergänzung ist Caravaggio ein erstaunlicher Effekt gelungen. Die schlagartige Wahrnehmung der Jünger ist nicht übertragbar. Unterschiedliche Menschen haben eine unterschiedliche Sicht auf die Welt und auf das, was sich vor ihren Augen ereignet. Die beiden Jünger haben ihre ganz eigene Erfahrung in diesem Moment gemacht. Aber sie sind deshalb nicht erwählter als andere Menschen, die ihre Sichtweise (noch) nicht nachvollziehen können. Jesus hat sich in einer bestimmten Situation offenbart, und zwei ihm vertraute Menschen haben diese Offenbarung erkannt. Aber es bleiben die Hoffnung und die Einladung bestehen, dass es auch vielen anderen Menschen ähnlich ergehen kann; dass von einem Moment auf den anderen klar wird: Es war nicht irgendjemand, der mit uns auf dem Weg war und ist. Es ist Jesus Christus, der unserem eigenen Leben Orientierung verschafft und uns auf unserem Weg segnet.
Ich wünsche Ihnen weiterhin eine gute Osterzeit.
Dr. Michael Bartels
Vorsteher
Greifswald, 04.05.2025
Das Osterfest ist für die Christen in aller Welt mit der Überlieferung von der Auferstehung Jesu Christi verbunden. Die Evangelien des Neuen Testaments berichten in jeweils eigener Sichtweise, wie Jesus Christus nach seiner Verurteilung, der Hinrichtung am Kreuz und der anschließenden Grablegung den Menschen als Auferstandener wiederbegegnet ist. Diese Menschen waren erschrocken und erfreut. Sie konnten es nicht fassen, dass der irdische Jesus den Tod überwunden hat. Die Kreuzigung und die anschließende Auferstehung Jesu Christi wurden zur zentralen Botschaft des Christentums.
Nicht erst in der Gegenwart, in der die Existenz Gottes für viele Menschen zweifelhaft oder gar unwichtig geworden ist, stellen Menschen sich die Frage, wie eine Auferstehung überhaupt vorstellbar ist. Selbst viele, die im christlichen Glauben stehen, werden unsicher, wenn es darum geht, ob es sich wirklich so zugetragen haben kann mit der Auferstehung: mit der Rückkehr eines Menschen vom physischen Tod in das Leben. Diese Unsicherheit ist jedoch keine Erscheinung in unserer „modernen“ Welt. Sie ist bereits in der biblischen Überlieferung angelegt. Denn in der Bibel wird zwar über die Auferstehung und den Auferstandenen berichtet, aber nicht darüber, wie genau die Auferstehung sich vollzogen haben soll.
Es wird davon berichtet, dass Menschen, die Jesu Grab aufsuchen wollten, ein leeres Grab vorgefunden haben und von anderen Menschen, die ihn später gesichtet haben oder begegnet sind. Der genaue Verlauf aber, der uns heute vielleicht aus naturwissenschaftlicher Sicht oder im Sinne einer faktenbasierten Überlieferung besonders interessieren würde, wird nirgends beschrieben. Er ist ein Mysterium, d. h. ein Geheimnis, ein Glaubensinhalt; einerseits unbelegt, unbeweisbar und andererseits zugleich unverzichtbar und unersetzlich für den Kern der christlichen Religion.
Die fehlenden Beschreibungen dafür, wie die Auferstehung sich konkret vollzogen habe, sind ein Grund dafür, dass sie in künstlerischen Darstellungen über die Jahrhunderte weniger bildlich aufgenommen wurde als die Kreuzigungsszene, deren Ablauf in der Bibel mit vielen Details geschildert wird. Einer der ersten Künstler, der ein Bild der Auferstehung nach seiner Vorstellung malte, war Matthias Grünewald. Seine Auferstehungsdarstellung entstand für den weltberühmten Isenheimer Altar (um 1512-1516), der heute in Colmar (Frankreich) zu besichtigen ist. Der Isenheimer Altar ist ein Gesamtkunstwerk, das aus mehreren Schauebenen und Klapptafeln besteht, die entsprechend der Kirchenjahreszeit aufgeschlagen werden konnten. Das berühmteste Schaubild des Isenheimer Altars ist zweifellos die Darstellung der Kreuzigungsszene. Auf einer Ebene hinter der Darstellung Jesu am Kreuz hat Grünewald die Auferstehung Christi gemalt.
Grünewalds Bild der Auferstehung enthält Elemente, die in den biblischen Geschichten zu finden sind: Ein Grab ist zu sehen, dessen Grabplatte geöffnet ist. Mehrere Personen sind dargestellt, offensichtlich Wachen, die von dem Geschehen überwältigt sind, zu Boden fallen und damit letztlich kaum noch Augenzeugen des Geschehens sind. Aber es bleibt in Grünewalds Bild nicht bei dieser gegenständlichen Übernahme von Details der biblischen Überlieferung. Er verbindet die Tradition der Überlieferung mit seiner eigenen künstlerischen Sichtweise. Jesus entschwebt dem geöffneten Grab. Das Grabtuch, mit dem er umwickelt war, hängt noch rot angestrahlt über seinen Schultern, sinkt aber im Moment der Auferstehung mehr und mehr grau-blau gefärbt auf den Boden zurück. Es ist eigentlich keine Auferstehung, die Grünewald malt, es ist schon mehr der Beginn einer Himmelfahrt, die den zum Leben erwachten Christus von der Erde in den Himmel führt. Mühelos und ohne Leiden zeigt der Gekreuzigte seine Hände, in denen die Male der Kreuznägel als Wunden deutlich zu sehen sind. Auf genau derselben Höhe dieser Wundmale befinden sich die leuchtenden Augen des Auferstandenen. Noch sind an seinem Leib die Kennzeichen der Folter und des Todes erkennbar, aber sie werden bereits durch den freundlichen Blick des Auferstandenen aufgehoben.
Die stärkste Symbolik Grünewalds liegt in der bildlichen Überlagerung von Christus und der hell und warm strahlenden Sonne. Christus ist nicht nur zugleich im Zentrum der Sonne, er selbst ist die Sonne, die über der Dunkelheit der irdischen Welt aufgeht. Die Bedeutung für uns Menschen liegt nicht allein in einer momentanen Begebenheit, von der die biblische Botschaft bis zum heutigen Tag kündet. Die Bedeutung für uns Menschen liegt darin, dass sich das „Kraftzentrum“ der Welt verschoben hat. Der auferstandene Jesus Christus ist wie eine neue Energie, die auf uns strahlt. Er hat nicht nur den Tod, sondern die bisher vorherrschenden Mächte überwunden. Dafür sind die zu Boden geworfenen Wachen das Sinnbild. Die von Grünewald dargestellten vier Personen tragen vier unterschiedliche Uniformen aus der Zeit des Malers. Sie symbolisieren die aktuellen weltlichen Mächte in Nord, Süd, Ost und West. Diese Mächte sind gebeugt unter dem Auferstandenen, dessen Füße genau auf sie gerichtet sind. Um die leuchtende Lichtquelle herum sind die Gestirne angeordnet, die den universalen Anspruch der Auferstehung als einem Heilsgeschehen für die ganze Welt verdeutlichen.
Grünewald gelingt es, eine „Glaubenswahrheit“ mit künstlerischen Mitteln darzustellen, die von den Menschen seiner Zeit verstanden werden konnte und die bis in unsere Gegenwart hinein Wirkung entfalten kann: Die Geschichte der Auferstehung wird nicht mehr in der (falschen) Alternative zwischen wahrer Begebenheit und märchenhafter Überlieferung dargestellt. Sie ist spätestens seit Grünewald eine emotionale Hoffnungsgeschichte, deren Horizont unglaublich weit ist und die das Potenzial in sich trägt, auch uns Menschen im Jahr 2025 trotz zahlreicher Bedrängnisse hoffnungsvolle Perspektiven zu eröffnen.